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Berliner Rettungsdienste üben einen Tribüneneinsturz auf einer Veranstaltung in der Messe Berlin.

© dpa/Gregor Fischer

Kaputte Einsatzwagen, Sparmaßnahmen, kein Plan: Berlin macht den Katastrophenschutz oft nur im Nebenjob

Nach dem Stromausfall von Köpenick 2019 war ein Boost für den Katastrophenschutz in Berlin geplant. Der Ukraine-Krieg verschärft den Bedarf noch. Doch die Bilanz ist mager.

Die Ansage von Brigadegeneral Jürgen Uchtmann war deutlich. Berlin müsse sich besser auf den Verteidigungs- und Krisenfall vorbereiten, sagte der Chef des Landeskommandos Berlin der Bundeswehr vor drei Monaten im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Verwaltung, der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz müssten handlungsfähig sein.

Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, wollte genau wissen, wo die Probleme lauern. Jetzt liegt die 30-seitige Antwort der Senatsinnenverwaltung auf Francos Anfrage vor. Das Ergebnis: Berlin ist nicht vorbereitet – und vieles dauert sehr lange.

„Es wird Zeit, endlich in die Umsetzung zu kommen“, sagte Franco dem Tagesspiegel. Während auf der Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche betont werde, wie wichtig der Zivil- und Katastrophenschutz sei, habe es in der praktischen Umsetzung keine Priorität. „Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagte Franco. „Wir brauchen nicht noch mehr Ankündigungen, sondern ein funktionierendes Krisenmanagement in Senat und Bezirken. Davon sind wir noch meilenweit entfernt.“

Ein Problem: Es gibt unzählige Katastrophenschutzbehörden, alle machen alles, aber viele sind nicht vorbereitet. Solche Behörden sind die Senatskanzlei, alle Senatsverwaltungen, einige Behörden wie die Polizei und Bezirksämter. Risikoanalysen zu verschiedenen Krisenszenarien liegen in den meisten Behörden nicht vor. Lücken gibt es auch bei den Katastrophenschutz-Plänen. Auf Landesebene haben nur die Senatsverwaltung für Inneres, Wirtschaft, Kultur und Stadtentwicklung vollständige Pläne, bei den anderen sind sie „noch in Arbeit“.

Vor allem Lichtenberg ist gut vorbereitet

In den Bezirken liegen größtenteils Pläne vor. Lichtenberg sticht positiv heraus: Dort gibt es Risikoanalysen, der Katastrophenschutzplan liegt „aufgrund der Risikoanalyse tagesaktuell vor“. Keine Angaben machte die Innenverwaltung dazu, wann die Behörden letztmals eine Gefährdungsabschätzung durchgeführt hat.

Das im Herbst 2022 angekündigte Katastrophenschutzzentrum in der Innenverwaltung wird erst Anfang 2025 voll einsatzfähig sein. Von den 24 Stellen dafür sind erst vier besetzt, je zehn sollen in diesem und im nächsten Jahr folgen. Die Innenverwaltung bezeichnet das Zentrum als „Keimzelle für die geplante eigenständige Behörde“, am Konzept wird noch gearbeitet, für einen Standort laufen noch Machbarkeitsstudien – und die Finanzierung ab 2026 ist unklar.

Wie sehr Berlin hinterherhinkt, zeigt sich auch bei den Beauftragten für Katastrophenschutz in den Behörden. Rufbereitschaften rund um die Uhr gibt es nur in der Innenverwaltung und in den Bezirken Lichtenberg, Reinickendorf und Spandau. Steglitz-Zehlendorf folgt bald.

Für die Beauftragten gibt es teils nicht einmal eigene Stellen, vielmehr wird der Job nebenbei als sogenannte „Zugleich-Aufgabe“ gemacht – auch in den Senatsverwaltungen. Jene Mitarbeiter, die das als „Zugleich-Aufgabe“ machen, weisen dann auch die Hausleitungen ein, auch Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Im Klartext: Die Ressortchefs müssen sich beim Katastrophenschutz auf Mitarbeiter verlassen, die das Theme nebenbei betreuen.

49
von 260 Fahrzeugen im Katastrophenschutz sind nicht einsatzbereit.

Wegen der Haushaltslage wird auch gespart. Für neue Fahrzeuge der Feuerwehr, die dem Katastrophenschutz dienen sollten, werden von geplanten 3,1 Millionen Euro in diesem Jahr knapp 2,8 Millionen gestrichen. Das ist eine Kürzung um 89 Prozent. Dabei ist die Fahrzeugflotte überaltert. Von 260 Fahrzeugen sind 49 nicht einsatzfähig – das ist knapp ein Fünftel der Flotte. Fast 47 Prozent aller Fahrzeuge sind älter als 15 Jahre, 25 Prozent sogar älter als 25 Jahre.

Wegen des Spardrucks ist unklar, ob der geplante Kauf neuer Wagen überhaupt kommt. 14 neue Fahrzeuge, davon drei als Ersatz, in diesem Jahr und 31 Neukäufe (13 als Ersatz) waren geplant. Immerhin hatte der Bund Berlin vier Schlauchwagen und bis zu sieben Krankentransporter für den Zivilschutzzweck in Aussicht gestellt.

580 Sirenen wären nötig – 450 sind geplant

Bei den Sirenen geht es voran, wenn auch langsamer als geplant. Mit zweijähriger Verzögerung sollen bis Ende 2024 insgesamt 411 Sirenen auf Berlins Dächern einsatzbereit sein. 252 sind bereits errichtet, 227 bereits „funktionstüchtig“, der Rest noch im Abnahmeprozess. Aber auch 411 Sirenen werden nicht in jeder Ecke der Stadt zu hören sein.

411 Sirenen sollen bis Ende des Jahres auf Berlins Dächern stehen.

© IMAGO/A. Friedrichs

Weitere 39 sind geplant, vom Bund kommen dafür noch einmal über das „Sirenen-Förderprogramm 2.0“ 428.643 Euro. Noch laufen topologisch Planungen für 193.000 Euro für den bestmöglichen Einsatz. „Für eine flächendeckende Beschallung des Landes Berlin wären nach überschlägiger Berechnung circa 580 Sirenen erforderlich“, teilte die Innenverwaltung mit. Eine Aussage über „nicht beschallbare Zonen“ sei noch nicht möglich.

Auch bei den Katastrophenschutzleuchttürmen, die nach dem Stromausfall von 2019 in Köpenick als Anlaufpunkte für die Bevölkerung versprochen worden sind, läuft es nicht rund. 35 Standorte und drei mobile Anlaufstellen waren geplant. Bislang sind nur zwölf – in Mitte, Lichtenberg, Reinickendorf und Treptow-Köpenick.

Kein Personal für Katastrophenschutzleuchttürme

Dort stehen jeweils vier Notebooks, zwei bis drei Großbildschirme, Drucker, ein WLAN-Hotspot und Notstromaggregate bereit. Die Kraftstoffvorräte dafür sollen mindestens für 72 Stunden, also drei Tage, reichen. Doch wie lange die Stromaggregate und der Kraftstoff reichen, ist laut Innenverwaltung geheim – wird also „aus Gründen der Sicherheit des Landes Berlin als Verschlusssache behandelt“. Eigenes Personal ist für die Leuchttürme nicht vorgesehen. Das wird dann in den Behörden im Notfall aus den eigenen Reihen eingesetzt.

Neben den Leuchttürmen soll es stadtweit 147 Katastrophenschutz-Informationspunkte als kieznahe Ansprechstelle geben. Bislang sind nur 25 in Lichtenberg und Reinickendorf einsatzbereit. Als Standort gesucht werden Senioren- und Jugendfreizeitstätten, Kieztreffs, Kirchen-, Moschee- und Synagogen-Gemeinden. Sie sollen den Hilfsbedarf erfassen, an Tafeln und Pinnwänden Informationen bereitstellen und Hilfe verteilen. Koordiniert werden sollen sie von den Leuchttürmen. Solange die nicht einsatzbereit sind, arbeiten auch kaum Informationspunkte.

Jeder fünfte Notfallbrunnen funktioniert nicht

Ein weiteres Problem sind die Trinkwassernotbrunnen für fast vier Millionen Einwohner. 2091 Straßenbrunnen gibt es dafür, doch mehr als jeder fünfte ist aktuell nicht als Trinkwassernotbrunnen funktionsfähig. Damit es besser läuft, sollen die Berliner Wasserbetriebe die Brunnen übernehmen.

Wie wichtig die Brunnen werden könnten, zeigt dieses Beispiel: Bei einem großflächigen Stromausfall müssten auch die Wasserbetriebe auf Notstromaggregate umstellen. Doch die schaffen nicht die übliche Leistung. Damit könnten nur für 18 bis 24 Stunden 290.000 Kubikmeter Wasser bereitgestellt werden – aber nur bis zum dritten Obergeschoss der Häuser. Zum Vergleich: Durchschnittlich waren es im vergangenen Jahr mehr als 560.000 Kubikmeter.

Grünen-Innenexperte Franco fordert nun eine ehrliche Bestandsaufnahme zur Lage des Katastrophenschutzes. „Die Senatsinnenverwaltung versagt bereits bei der Bestandsaufnahme und verweist auf Allgemeinplätze, Prüfaufträge und Ankündigungen“, sagte Franco. „Der andauernde Verweis auf ein eigenes Landesamt ist nichts wert, solange die Strukturen in Berlin brach liegen.“

Anstatt wie versprochen den Katastrophenschutz zu stärken, kürze Schwarz-Rot fast alles wieder. Es fehlten hauptamtliche Beauftragte und die Bezirke würden personell und finanziell im Stich gelassen. „Wenn niemand in Berlin weiß, was Katastrophenschutzleuchttürme sind und wo Anlaufstellen im Krisenfall sind, hilft auch das beste Konzept auf dem Papier nichts“, sagte Franco.

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